Die Barbarossa-Sage


Kaiser Barbarossa war auf einem Kreuzzug ins Heilige Land. Dabei starb er auf der Rückreise in der Türkei an einem Fieber. Da der Leichnam nicht mit nach Deutschland genommen wurde, also der Beweis für den Tod fehlte, entstand das Gerücht, dass er noch am Leben wäre und im geeigneten Moment zurückkäme.

Daraus entwickelte sich die Sage, nach der Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser in seinem unterirdischen Schloß schläft. Er sitzt dabei auf einem Elfenbeinthron an einem Marmortisch und sein Bart ist inzwischen durch die Tischplatte hindurch gewachsen. Alle 1000 Jahre wird er von einem Raben geweckt. Und wenn er dann feststellt, dass das das Deutsche Reich ihn benötigt, wird er zurückkehren.

Eine andere Version erzählt, dass er alle 100 Jahre erwacht. Er winkt seinem Zwerg Alberich zu, der mit ihm in der Erde ruht. Er bittet ihn hinaufzugehen und nachzuschauen, ob die Raben noch um den Berg fliegen und krächzen. Wenn das nicht mehr der Fall ist darf er zurückkehren, um Frieden und Einheit zu stiften. Doch jedesmal kreisen Raben um den Berg und so schließt er seufzend die Augen und schläft abermals hundert Jahre.

Wenn der Bart ganz um den Marmortisch herum gewachsen ist, wird sich ein stolzer Adler in die Lüfte emporschwingen und die Raben vertreiben. Dann erwacht der Kaiser mit seinen gleichfalls verzauberten Getreuen, steigt zur Welt in seine Kaiserpfalz Tilleda hinauf und wird allenthalben Ordnung schaffen.

In Deutschland wollte man lange nicht glauben, daß der Schirmherr des Reiches, der gefürchtete und geachtete Kaiser Rothbart, wirklich gestorben sei. Die Volkssage hat ihn nach Thüringen, in die Burg Kyffhausen, versetzt. Dort sitzt er im unterirdischen Saale nachdenkend und sinnend am marmornen Tische. Zu Zeiten gelingt es einem Sterblichen, in jenes Gemach zu dringen. Dann wacht der Kaiser aus seinem Schlummer auf, schüttelt den rothen Bart und begehrt Kunde, ob noch krächzende Raben den Kyffhäuserberg umkreisen. So lange die schwarzen Vögel noch um die Felsenkrone flattern und ein Adler sie nicht hinweggetrieben hat, so lange – meldet die Sage – verharrt auch der Alte noch in seiner verzauberten Burg. Vernimmt er, daß sie noch kreischen, so blickt er düster vor sich hin, seufzt tief und spricht: »Schlafe wieder ein, müde Seele! Noch muß ich hundert Jahre harren, bevor ich wieder unter meinem Volke erscheine.« Zuletzt soll den schlummernden Kaiser ein Hirt gesehen haben, der seine Ziege durch die goldene Aue trieb und sich am Kyffhäuserberg verirrte. Der Bart des Kaisers war beinahe um den Marmortisch geschlungen. Wenn er denselben ganz bedeckt, dann erwacht Friedrich Barbarossa und die Raben sind verscheucht.


August Wilhelm Grube (1865): Charakterbilder aus der Geschichte und Sage. Zweiter Theil: Das Mittelalter - Kapitel 25, III. Die großen Hohenstaufen, 2. Friedrich I. oder Barbarossa (1152-1190).

Urpsrünglich bezog sich die Sage auf den Stauferkaiser Friedrich II., wurde aber im 16. Jahrhundert auf Friedrich I. Barbarossa übertragen. Er war 1125 Herzog von Schwaben, 1152 deutscher König und 1155 Kaiser geworden. Als Kaiser versuchte er, die Zentralgewalt des Reiches gegenüber den einzelnen Fürsten zu stärken. Nachdem er 1190 auf einem Kreuzzug gestorben war, ließ er sein Werk unvollendet zurück.

Dem mittelalterlichen Menschen, der sich seiner eigenen Macht nicht bewußt war, erschien die einzige Möglichkeit für eine Besserung der Zustände das Erscheinen eines mächtigen und ordnenden Kaisers. Vor allem sollte dadurch die große Zahl der Fehden zwischen den Adeligen, die meist auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wurden, reduziert werden. Beide obige Kaiser hatten hatten dies versucht, waren aber vor Beendigung ihres Vorhabens gestorben.

Dieses Motiv taucht in mittelalterlichen Legenden immer wieder auf. Eine ähnliche Legende wird zum Beispiel in Großbritannien über König Arthur erzählt, der allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit nie existiert hat, wenigstens nicht in der Form wie ihn die Legende beschreibt. Auch das Motiv der Getreuen, die mit im Berg schlafen ist weit verbreitet. Dabei sind es einmal sieben, ein anderes Mal hundert Getreue.

Die Legende ist ziemlich spezifisch, was den Ort angeht, so gibt es nur eine Höhle, die behauptet, der besagte Ort zu sein. Die Barbarossa-Höhle hat einen großen Tisch, der im 19. Jahrhundert als Reminiszenz an die Barbarossa-Legende errichtet wurde. Da das Gestein aus Anhydrit oder Gips besteht, was ein wenig wie Marmor aussieht, gibt es unter dem Ort eine zweite Parallele. Allerdings haben wir Barbarossa bei unseren Besuchen nie gesehen!