Die Entstehung der Arten

Charles Darwin


Es ist wohl bekannt, dass mehre Thiere aus den verschiedensten Klassen, welche die Höhlen in Steyermark und Kentucky bewohnen, blind sind. In einigen Krabben ist der Augen-Stiel noch vorhanden, obwohl das Auge verloren ist: das Teleskopen-Gestell ist geblieben, obwohl das Teleskop mit seinem Glase fehlt. Da nicht wohl anzunehmen, dass Augen, wenn auch unnütz, den in Dunkelheit lebenden Thieren schädlich werden sollten, so schreibe ich ihren Verlust gänzlich auf Rechnung des Nichtgebrauchs. Bei einem der blinden Thiere insbesondre, bei der Höhlen-Ratte, haben die Augen eine ungeheure Grösse; und Professor Silliman war der Meinung, dass dasselbe, nachdem es einige Tage im Licht gelebt, ein schwaches Sehe-Vermögen wieder erlange. Wie auf Madeira die Flügel einiger Insekten durch Natürliche Züchtung, von Gebrauch und Nichtgebrauch unterstüzt, allmählich theils vergrössert und theils verkleinert wurden, so scheint dieselbe Züchtung bei der Höhlen-Ratte mit dem Mangel des Lichtes gekämpft und die Augen vergrössert zu haben, während bei allen anderen blinden Höhlen-Bewohnern Nichtgebrauch allein gewirkt haben mag.

Es ist schwer sich ähnlichere Lebens-Bedingungen vorzustellen, als tiefe Kalkstein-Höhlen in nahezu ähnlichem Klima, so dass, wenn man von der gewöhnlichen Ansicht ausgeht, dass die blinden Thiere für die Amerikanischen und für die Europäischen Höhlen besonders erschaffen worden seyen, auch eine grosse Ähnlichkeit derselben in Organisation und Verwandtschaft zu erwarten stünde. Diese findet aber nach Schiödte’s u. A. Beobachtung nicht statt; und die Höhlen-Insekten der zwei Kontinente sind nicht näher mit einander verwandt, als sich schon nach der grossen Ähnlichkeit zwischen den andern Bewohnern Nord-Amerikas und Europas erwarten lässt. Nach meiner Meinung muss man annehmen, dass Amerikanische Thiere mit gewöhnlichem Sehe-Vermögen in nacheinanderfolgenden Generationen immer tiefer und tiefer in die entferntesten Schlupfwinkel der Kentucky’schen Höhle eingedrungen sind, wie es Europäische in den Höhlen von Steyermark gethan. Und wir haben einigen Beweis für diese stufenweise Veränderung des Aufenthalts; denn Schiödte bemerkt: Wir betrachten demnach diese unterirdischen Faunen als kleine in die Erde eingedrungene Abzweigungen der geographisch-begrenzten Faunen der nächsten Umgegenden, welche in dem Grade, als sie sich weiter in die Dunkelheit ausbreiteten, an die sie umgebenden Verhältnisse gewöhnt wurden; Thiere, von gewöhnlichen Formen nicht sehr entfernt, bereiten den Übergang vom Tage zur Dunkelheit vor; dann folgen die fürs Zwielicht gebildeten und endlich die fürs gänzliche Dunkel bestimmten. Während der Zeit, in welcher ein Thier nach zahllosen Generationen die hintersten Theile der Höhle erreicht, wird hiernach Nichtgebrauch die Augen mehr oder weniger vollständig unterdrückt und Natürliche Züchtung oft andre Veränderungen erwirkt haben, die, wie verlängerte Fühler und Fressspitzen, einigermaassen das Gesicht ersetzen. Ungeachtet dieser Modifikationen werden wir erwarten, noch Verwandtschaften der Höhlen-Thiere Amerikas mit den anderen Bewohnern dieses Kontinents, und der Höhlen-Bewohner Europas mit den übrigen Europäischen Thieren zu sehen. Und Diess ist bei einigen Amerikanischen Höhlen-Thieren der Fall, wie ich von Professor Dana höre; und einige Europäische Höhlen-Insekten stehen manchen in der Umgegend der Höhle wohnenden Arten ganz nahe. Es dürfte sehr schwer seyn, eine vernünftige Erklärung von der Verwandtschaft der blinden Höhlen-Thiere mit den andern Bewohnern der beiden Kontinente aus dem gewöhnlichen Gesichtspunkte einer unabhängigen Erschaffung zu geben. Dass einige von den Höhlen-Bewohnern der Alten und der Neuen Welt in naher Beziehung zu einander stehen, lässt sich aus den wohl-bekannten Verwandtschafts-Verhältnissen ihrer meisten übrigen Erzeugnisse zu einander erwarten. Zwar gehören einige der den Höhlen beider Hemisphären gemeinsamen Insekten zu solchen Sippen, welche bis jetzt allerdings nur in Höhlen gefunden worden, aber früher wohl eine weite oberflächliche Verbreitung gehabt haben mögen. Blinde Arten der Sippe Adelops wohnen jetzt in Höhlen und werden ausser denselben an dunkeln Orten unter Moos u.s.w. gefunden. Ferne davon mich darüber zu wundern, dass einige der Höhlen-Thiere von sehr anomaler Beschaffenheit sind, wie Agassiz von dem blinden Fische Amblyopsis in Amerika bemerkt, und wie es mit dem blinden Reptile Proteus in Europa der Fall ist, bin ich vielmehr erstaunt, dass sich darin nicht mehr Wracks der alten Lebenformen erhalten haben, da solche in diesen dunkeln Abgründen wohl einer minder strengen Mitbewerbung ausgesetzt gewesen seyn würden[1].

[1] Ein vollständiges Verzeichniss der Bewohner dunkler Höhlen hat Ehrenberg zusammengetragen in den Monats Berichten der Berliner Akademie 1859, 758 ff. D. Übs.