Höhlenführer-Mythen

Von Feuchthöhlen, Zerklüftungshöhlen und Naturhöhlen


In einer deutschen Schauhöhle wird ganz stolz der Unterschied zwischen Feuchthöhlen und Trockenhöhlen betont, weil diese Höhle die einzige Feuchthöhle in der Umgebung ist, bei der also die Tropfsteine noch wachsen. Eine so abstruse Idee, die aber todernst und mit innerer Logik vorgetragen wird. Doch wie sollte eine Karsthöhle so vollständig trocken sein? Solange es an der Oberfläche regnet, dringt Tropfwasser in die Höhle ein, nur in ariden Gebieten könnte die Höhle so trocken werden, dass kein Tropfstein mehr wächst. Und trotz Klimaerwärmung ist es in Deutschland zum Glück noch nicht so weit, dass wir Wüstenklima haben!

Noch lustiger sind die vielfältigen Begriffe, die zur Beschreibung von Höhlen dienen. Sie lassen Fantasie und Kreativität erkennen. Da gibt es Zerklüftungshöhlen, Spaltenhöhlen und Tiefenhöhlen. Meist bezeichnen diese Begriffe die Morphologie (das Aussehen) der Höhlen, die Tiefenhöhle ist tief, die Spaltenhöhle hoch und schmal, also spaltenförmig. Das beißt sich natürlich mit den modernen speläologischen Fachbegriffen, die immer die Genese (die Entstehungsweise) beschreiben.

Zerklüftungshöhlen sind, wenn der Raumerweiterungsprozeß noch nicht so weit fortgeschritten ist, daß die Felsenpfeiler schon völlig abgetragen und benachbarte kleinere Räume bereits in einen großen, hallenartigen Raum aufgegangen sind, gewöhnlich Labyrinthhöhlen, und zwar meist sehr unübersichtliche.
Georg Kyrle (1923): Grundriß der theoretischen Speläologie, in: Speläolog. Monographie, Wien, Seite 41.

Kyrle war Professor und hat viel für die Höhlenkunde geleistet, das oben zitierte Buch ist ein Standardwerk der Speläologie und bis heute wertvoll. Doch selbst ihm passierten solche wirren Konstrukte. Dabei ist die Idee eigentlich ganz einfach: wenn mehrere Spalten nebeneinander liegen werden sie gleichzeitig erweitert. Irgendwann wird die Trennwand zu dünn und es bildet sich ein großer Gang oder eine Halle. Da es sich dabei jedoch um einen kontinuierlichen Prozess handelt, ist die Idee, dass es einen Zustand der "Zerklüftungshöhle" gibt wohl eher unsinnig. Trotzdem war der Begriff sehr beliebt, vor allem in Franken. Und dort völlig zu Unrecht, weil die Höhlen dort ihren Charakter den Eigenschaften des Dolomitgesteins verdanken, und die Vereinigung von Gängen oder Räumen durch fortschreitende Erweiterung praktisch kaum existiert.

Und warum ist der Begriff Naturhöhle lustig? Ganz einfach, eine Höhle ist definiert als natürlicher Hohlraum unter der Erde. Damit kommt in Naturhöhle der Begriff "Natur" zweimal vor. Es ist etwa so sinnhaft wie Naßregen oder Kaltwinter. Und doch erfreut er sich zunehmender Beliebtheit. In einem Versuch zu retten was noch zu retten ist, wird die Bedeutung manchmal als "naturbelassene" Höhle interpretiert. Eine Naturhöhle ist somit eine nicht-Schauhöhle. In der Steiermark gibt es sogar ein Naturhöhlengesetz von 1928, damals meinte man aber "natürliche Höhlen" im Gegensatz zu "künstlichen Höhlen". Aber wenn man liest, dass die Kluterthöhle die „Größte Naturhöhle Deutschlands“ ist, verliert man jeglichen Glauben an die deutsche Journaille. Nur um das ganz klar zu sagen: die Kluterthöhle ist eine Schauhöhle und sie ist mit fast 6 km Länge derzeit auf Platz 15 [2024].