Reise durch alle Teile des königreiches Griechenland in Auftrag der königl. griechischen Regierung in den Jahren 1834 bis 1837

K.G. Fiedler

2 Bände., Leipzig 1841

Die Höhle der lernäischen Schlange.


Von Myli begab ich mich eine starke halbe Stunde weit nach der Lernäischen Höhle. Am Fusse der Felsen, in welchen wenige Lr. oberhalb sich die Höhle befindet, kommt die Quelle des Kephaläris mit schönem klaren Wasser hervor, und gleich so reichlich, dass sie bei ihrem Ausfluss einen breiten Bach bildet, der weiter unterhalb mehrere Mühlen treibt, zwei der Gefalle gehören dem Staat und sollen benutzt werden dort Pulverfabrication einzurichten, da dieser Platz einsam liegt, so dass wegen des öfteren Auffliegens aller Pulvermühlen der Umgebung in solchem Falle kein Schade geschehen kann.

Ueber die Lernäische Schlange berichtet Pausanias VII. 37.4. folgendes: „An der Quelle Araymone ist eine Platane aufgewachsen; unter dieser Platane soll sich die Wasserschlange ernährt haben. Ich glaube nun wohl, dass sich dieses Thier an Grösse von den übrigen Wasserschlangen unterschieden habe, und dass denn auch sein Gift so unheilbar gewesen, dass Herakles mit dem Geifer desselben die Spitzen seiner Pfeile vergiften konnte. Aber nur Einen Kopf, wie mir scheint, hatte sie, nicht mehrere. Peisandros dagegen, der Kamireer, damit das Thier desto furchtbarer erscheine und dadurch seine Dichtung mehr Bedeutung habe, dichtete dieser Schlange mehrere Köpfe an."

Ganz nahe unter der Höhle führt jetzt die neue Kunststrasse nach Tripoli; einige Lr. aufwärts ist der Eingang der Höhle, vor welcher ein mächtiges herabgefallnes Felsstück liegt, an dessen Seite man hineingeht; ein dunkler, hoher, langer Raum öffnet sich und Hunderte von Fledermäusen umfliegen im Helldunkel das Haupt des Ruhestörers. Diese Höhle ist durch Einsturz unterer Kalkbänke entstanden, wozu der am Fuss hervorquellende Bach das seinige beigetragen hat; sie erhält über jenes Felsstück einiges Tageslicht, es ist wohl das, welches Herakles auf den unsterblichen Kopf der Schlange wälzte. Er fand sie nach der Mythe in der Höhle, und soll das Ungeheuer darinn von seinem Lager mit Pfeilen aufgejagt haben.

Es ist der Mühe werth diese Höhle zu besuchen, sie gleicht einem grossen langen Felsensaale und macht halbdunkel, wie sie am vollen Tage ist, mehr Eindruck, als die Höhlen dieser Art, z. B. die auf dem Pentelikon. Denkt man sich noch dazu die Hydra mit 50 Köpfen, giftgeschwollen hier im düstern Lager als grässlichen Knäul, so gewinnt die sich ganz dazu eignende Höhle noch an Interesse.

Es hat wohl in der kühlen Grotte einst eine grosse Wasserschlange gehaust, die, je grösser sie wurde, desto mehr zur Nahrung bedurfte, daher die Heerden anfallen musste und der Gegend wie ein Lindwurm zum Schrecken ward. Auch ein grosser Seekrebs oder Seekrabbe, den die Hera der Hydra zu Hülfe schickte, dem Herakles in die Füsse zu kneipen, kann im nahen Quell gelebt haben. In der Zeit der Mythe waren die Länder noch wenig bewohnt und es konnten Thiere gross und fürchterlich werden, die man in spätem Zeiten jung schon vertilgte. Eben so ist es gar nichts wunderbares und unwahrscheinliches, dass sich aus Asien Löwen nach Griechenland verirrten; es gab ferner am Parnes u. a. O. in Griechenland Bären, die jetzt ausgerottet sind.

Man braucht daher auch diese Mythe nicht als ein allegorisches Bild zu nehmen: es verzweige sich 50fach die Quelle, die nach dem Meere zu allerdings das Land versumpft, diess sei die Hydra. Dieser Sumpf war nie gefährlich und gefürchtet, er hat zu viel Vegetation und ist einer der unschädlichsten des Landes, er ist heute noch vorhanden, es wäre also gar nicht wahr, dass Herakles die Hydra bezwungen habe, und wachsen konnten ja die abgehauenen Köpfe nicht wieder, davon sagt die Nachwelt nichts.

Ueberhaupt ist es wohl das natürlichste, sich unter den Göttern und Heroen des fernsten Alterthums ausgezeichnete Menschen vorzustellen, deren nützliche oder verderbliche Thaten von den Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt mit poetischem Sinne vergrössert und ausgeschmückt wurden, es liebt des Menschen Phantasie das Wunderbare. Sind die Heroen der Mythenzeit nur Luft und Nebel, wie konnten sich diese zu Gebeinen, Waffen u. a. verdichten, die man in ihren Gräbern findet, z. B. im Grabe des Achilles bei Troja, und in den andern finden würde, wenn man sie öffnen dürfte oder die Stelle wüsste, wo sie sind.

Der Kalkstein der Lernäischen Höhle ist dicht, gelblichgrau und mit vielem weissen Kalkspath durchwachsen, die dichten Parthien des Kalksteins sind häufig mit zarten schwarzen Lagen durchzogen; die etwas stärkern trennen sich leicht, weil sie eine schwarze schiefrige thonige Masse enthalten.